Dienstag, 28. Juni 2022

Regional- und Fernverkehr um Tallinn

Tallinn liegt im Harju maakond, einem der 15 Landkreise (maakonnad), in die Estland gegliedert ist. In Harju leben mit 550.000 Einwohnern fast 45% der estnischen Bevölkerung. Der Regionalbusverkehr wird nach skandnavischem Vorbild von der Regiegesellschaft Põhja-Eesti Ühistranspordikeskus (etwa: Nordestnisches Verkehrszentrum) verantwortet, die auch für den ÖPNV in den Nachbarkreisen Rapla, Lääne und Lääne-Viru zusändig ist. Die Verkehre werden allerdings durch private Verkehrsunternehmen erbracht, in Tallinn sind vor allem Go Bus, Hansabuss und SEBE tätig. Zum Einsatz kommen meist Iveco Crossway und MAN A78, die wohl zumindest teilweise zentral beschafft wurden. Knotenpunkt des Regionalbusverkehrs in Tallinn ist der Hauptbahnhof Balti Jaam.

Das Unternehmen SEBE sitzt in Kambja bei Tartu und betreibt neben dem Regionalverkehr in Harju auch Stadt- und Regionalbusse in Pärnu und Narva. Der Fuhrpark umfasst etliche MAN A78, wie 455 am Balti Jaam.

Nicht alle Busse tragen die Pohja-Eesti-Lackierung, viele sind auch in weiß unterwegs. MAN NL313 CNG Nummer 434 wurde 2017 von SEBE ursprünglich für den Stadtverkehr Tartu beschafft.

Crossways kommen u.a. in der kurzen Hochbondenversion zum Einsatz. 290 BXF gehört dem Tallinner Unternehmen Hansa Buss, er wurde 2018 abgeliefert.

Auch einige gebrauchte Busse stehen im Regionalverkehr im Einsatz. Der 2009 gebaute Hansa Buss 380 MSF, ein Volvo B7RLE mit Vest Center-Aufbau kam 2018 von der norwegischen Bahnbusgesellschaft Nettbuss, in deren blauer Lackierung er sich in Estland gut einfügt.

GoBus ist mit rund 350 Fahrzeugen einer der größten Busbetriebe Estlands, natürlich ist man auch im Hauptstadtumland tätig. Crossway LE 877 DSK verlässt gerade den Balti Jaam.

Wie im gesamten Baltikum ist auch in Estland der Bus das wichtigste Fernverkehrsmittel. Fernbuslinien werden grundsätzlich kommerziell von privaten Unternehmen betrieben. In allen größeren Orten gibt es modern ausgebaute Busbahnhöfe (bussijaam), der von Tallinn liegt etwa zwei Kilometer südöstlich des Stadtzentrums und ist mit der Straßenbahn und mehreren Buslinien angebunden. 

Im Fernbusverkehr kommen hauptsächlich Hochdecker-Reisebusse zum Einsatz, der Volvo 9700 ist dabei recht verbreitet, u.a. beim Unternehmen Baltic Shuttle, das von Tallinn nach Narva an der russischen Grenze fährt.

Im ganzen Baltikum ist LUX Express anzutreffen. Wie der Name schon andeutet sind die Busse besonders komfortabel ausgestattet und verfügen z.T. sogar über eine 1. Klasse ("Relax", mit 2+1-Bestuhlung). Die Fahrzeuge sind Irizar i6 auf Scania-Chassis.

Auf kürzeren Verbindungen sind auch Überlandbusse im Einsatz, wie Scania Citywide LE Suburban 798 WDR der Firma MK Reis aus Rakvere.
 
Auch Go Bus mischt im Fernverkehr mit, Scania OmniExpress 400 BVF steht hier auf dem Pausenplatz am Bussijaam Tallinn.

Der Bahnverkehr in Estland ist nicht zuletzt aufgrund der dünnen Besiedlung außerhalb der Hauptstadtregion recht spärlich. Nach zwischenzeitlicher Übernahme durch die US-Güterbahn Wisconsin Central wurde das in russischer Breitspur angelegte Netz seit Anfang der 2010er Jahre aber deutlich modernisiert. Im Raum Tallinn wird ein relativ dichter Vorortverkehr unter Fahrleitung angeboten, auf den überigen Strecken verkehren nur einzelne Dieseltriebwagen. Alle Strecken gehen von Balti Jaam in Tallinn aus. Seit 2014 ist der Schienenpersonenverkehr in der Hand der Eesti Liinirongrid (Elron).

Der Elron-Fuhrpark ist relativ langweilig, er besteht aus 38 orangenen Stadler Flirt (20 Elektro, 18 Diesel). Elektro-Flirt 1329 wartet am Balti Jaam auf seine Abfahrt.


Montag, 27. Juni 2022

Türkis in Tallinn

Die noch weitestgehend von der mittelalterlichen Stadtmauer mit ihren mächtigen Wachtürmen umgebende Tallinner Unterstadt war mit ihrem gotischen Rathaus das Zentrum von Handel und Handwerk. Noch heute strahlt der große Rathausplatz (Raekoja plats) und seine umliegenden Gassen die Atmosphäre der mitelalterlichen Hansezeit aus. Tallinn hat heute rund 430.000 Einwohner und ist damit die unbestrittene Metropole von Estland. 

Die ersten Stadtbuslinien wurden in Tallinn bereits 1922 vom Privatunternehmer Kangro eingerichtet. Heute umfasst das Netz rund 75 Verbindungen, vor allem die in den Nachkriegsjahren gebauten Großsiedlungen am Stadtrand werden fast ausschließlich mit Bussen bedient. Die TLT-Busflotte ist dabei ausgesprochen modern, in den letzten Jahren wurden von Scania, MAN und Solaris große Serien beschafft. Einige Gebrauchtkäufe vor allem aus Schweden ergänzen den Fuhrpark. Die Wagennummern sind vierstellig, wobei die erste Ziffer den Betriebshof angibt. Die älteren Fahrzeuge sind jeweils auf die letzten drei Stellen der Wagennummer plus dem Buchstabenkürzel TAK zugelassen.

Letzter noch in Betrieb befindlicher Scania L94UB mit estnischem Baltscan-Aufbau ist Wagen 3045. Er präsentiert sich noch in vollständiger TAK-Lackierung auf Sonderfahrt am Vabaduse väljak

Auch gebrauchte Busse sind bei TLT vereinzelt zu finden. 3082 wurde 2005 zunächst bei Arriva Nederland (Wagen 7878) zugelassen, kam 2012 zu Arriva in Stockholm und 2019 schließlich zu TLT. Er verlässt hier den Busbahnhof am Viru Keskus.

Die meisten OmniLink wurden von TAK neu beschafft, so wie 2374 vom Baujahr 2007.

Neben OmniLink gibt es auch einige OmniCity, allerdings nur in der Soloversion. 1704 ist auf Sonderfahrt auf der Mere pst unterwegs. Auch dies ist ein Gebrauchtfahrzeug, er stammt von Unibuss aus Oslo.


Die 18,75m langen MAN A40 (NG 323) haben sich als ideal für die stark frequentierten Hauptlinien erwiesen, so das TLT hiervon rund 40 Stück einsetzt. 1038 stammt aus dem Jahr 2013.

Die Soloversion A21 ist dagegen deutlich seltener. 2701 wurde 2011 ursprünglich ins ostestnische Narva gelifert und erst 2016 von TLT übernommen.

Von den Low Entries A78 (EL 293) konnte MAN insgesamt 101 Exemplare nach Tallinn liefern, die jedoch nicht mehr alle im Einsatz sind. 1119 stammt aus dem Jahr 2014 und wendet hier am Balti Jaam.

2011 kaufte die estnische Regierung 110 einheitlich blau lackierte Crossway LE bei Irisbus und verteilte sie auf mehrere Betriebe. 1471 verlässt hier den Busbahnhof Viru keskus, diese Serie ist bei TLT inzwischen ausgemustert.

Volvos sind bei TLT nicht sehr verbeitet, obwohl es immer wieder einige Serien neu und gebraucht gab. Die aktuellsten sind 34 7900 Hybrid aus dem Jahr 2015. 2199 am Balti Jaam.

Richtig massiv investiert wurde 2020/21, als die TLT von Solaris nicht weniger als 173 Solo-...

... und 119 Gelenkbusse mit Erdgasantrieb erhielt.

Sonntag, 26. Juni 2022

Tallinn: Hansemetropole des Nordens

Nur drei Fährstunden südlich von Helsinki liegt die estnische Hauptstadt Tallinn. Grund genug, ihr im Rahmen eines Tagestrips während meiner Finnlandtour letzten Sommer einen Besuch abzustatten. Noch vor Helsinki und St. Petersburg war die Stadt, damals noch unter dem deutschen Namen Reval, die Metropole des nordöstlichen Ostseeraumes. Gegründet im 11. Jahrhundert enwickelte sich die Stadt unter Oberhoheit Dänemarks und später des deutschen Ordens zum wichtigsten Handelsplatz und einer der frühesten Hansestädte der Region. 1918 wurde Tallinn Hauptstadt des unabhängigen Estlands, das im zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion anektiert und erst 1991 wiederhergestellt wurde. Die wunderbare mittelalterliche Altstadt blieb fast vollständig erhalten, aufgeteilt in den Domberg mit Regierungsviertel und evangelischer wie orthodoxer Kathedrale und zu dessen Füßen die Unterstdt, wo das wirtschaftliche Herz pulisierte. Heute präsentiert sich die Stadt als durch und durch europäische Metropole, die sowjetische Vergangenheit ist kaum mehr spürbar.

In Deutschland machte der ÖPNV in Tallinn zum einen durch den Einsatz von Omnibus-Anhängerzügen auf sich aufmerksam, zum anderen als man den Verkehr - allerdings nur für die Einwohner der Stadt - kostenlos machte. Betreiber des Stadtverkehrs ist die kommunale Tallinna Linnatranspordi AS (TLT), die 2012 aus der Fusion des Omnibusbetriebes TAK (Tallinna Autobusskoondis) und des Straßenbahn- und Obusbetriebs Tallinna Trammi- ja Trollibussikoondise AS entstand. TLT betreibt je vier Straßenbahn- und Obus- sowie rund 70 Buslinien. Wie seinerzeit in der Sowjetunion üblich verwenden alle Betriebszweige eigene Liniennumernkreise, die jeweils mit 1 beginnen, so dass es die gleiche Liniennummer als Bus-, Obus- und Tramlinie gibt. Ebenso aus sowjetischen Zeiten stammt die Tradition, dass alle Betriebszweige eine eigene Farbgebeung haben. Bei TLT wird hier zwar ein einheitliches Design verwendet, Straßenbahnen tragen dieses jedoch in orange, Obusse in blau und Busse in türkis. 

Das Obusnetz wurde 1965 eröffnet und in den letzten Jahren deutlich verkleinert, so dass heute nur noch der Stadtteil Mustamäe mit dem Stadtzentrum verbunden wird. Der Obusfuhrpark besteht inzwischen aus mehreren Serien Solaris Trollino, sowohl in der Solo- als auch in der Gelenkvariante. Die E-Ausrüstungen kommen von Ganz oder Skoda.

Letzter vorhandener Skoda 14Tr ist Wagen 307 vom Baujahr 1989. Im Planeinsatz ist er nicht mehr, ich konnte ihn allerdings im Stadtteil Pelgulinn auf einer Sonderfahrt für eine Kindergruppe aufnehmen.

Ein Teil der Soloobusse trägt noch den alten Karosseriestil des Urbino. Der 2004 gelieferte Wagen 325 wendet hier soeben am Hauptbahnhof Balti Jaam.

2007 und 2010 folgten nochmals 14 Trollino 12 in der neuen Bauform. 339 war der letzte der 2007er-Serie am Freiheitsplatz (Vabaduse väljak), der südlichen Begrenzung der Altstadt.

Insgesamt 19 Trollino 18 ergänzen den TLT-Obuspark. 443 wurde 2009 geliefert und befährt hier den Kaarli Boulevard.

Das rund 20 km lange Straßenbahnnetz, das in Kapspur (1067 mm) ausgeführt ist, erschließt nur die inneren Vororte. Eine Pferdebahn fuhr in Tallinn ab 1888, auf elektrischen Betrieb wurde erst 1925 umgestellt. Heute besteht der Fuhrpark aus diversen Varianten des Tatra KT4, sowohl neu gelieferte als auch aus Deutschland (Erfurt, Gera und Cottbus) übernommene. Zudem wurden 2014 20 CAF Urbos abgeliefert. Die KT4 sollen in den kommenden Jahren durch neue Wagen von PESA ersetzt werden.


Noch in der alten TTTK-Lackierung präsentiert sich KT4SU von 1986 am zentralen Viru väljak.

TLT 178 ist dagegen ein KT4D, der bereits in seinem früheren Leben als Erfurter Wagen 506 modernisiert wurde, bevor er 2013 nach Estland kam.
 
Einige KT4 sind im brandenburgischen Mittenwalde zu KTNF6 umgebaut worden. Auch das Spenderfahrzeug für TLT 148 kam 2003 aus Erfurt (Wagen 494), hier am Vabaduse väljak aufgenommen.

Für die letzten Umbauten wählte TLT ein "retro-design" mit neuer Front und Holzlängsbänken innen. Aus dem ex-Geraer KT4D 328 wurde so 2017 bei Inekon in Tscheichien der KT4TMR 142. Etliche Straßenbahnwagen tragen die (Vor-)Namen bedeutender Persönlichkeiten der Stadtgeschichte.  

Die Urbos AXL fahren vor allem auf den Linien 1 und 3. Erstere befährt das Glacis vor dem Margarethentor, dem mächtigsten Stadttor. Dort ist gerade Wagen 511 unterwegs.